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Funkzellenabfrage: Überwachung Tausender Unschuldiger mit unklarem Nutzen

Gepostet am Jun 18, 2014

Mehr als 4.000 Mal fragte Nordrhein-Westfalens Polizei 2013 Funkzellen-Daten ab und scannte dabei viele Unschuldige. Doch ob sie Ermittlern weiterhelfen, weiß niemand.

Mobilfunkmast: Hier loggen sich Handys ein - es sei denn, ein IMSI-Catcher überstrahlt ihre Signale.

Mobilfunkmast: Hier loggen sich Handys ein – es sei denn, ein IMSI-Catcher überstrahlt ihre Signale.  |  © Daniel Reinhardt/dpa

Insgesamt 4.145. So viele Funkzellenabfragen hat die Polizei in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr vorgenommen. Eine stattliche Zahl, und 600 mehr als 2012. Oder 1.500 mehr als zwei Jahre zuvor. In den ersten drei Monaten dieses Jahres waren es auch schon wieder 972. Der Trend weist weiter nach oben. Die sogenannte Funkzellenabfrage ist für die Polizei zur Routine geworden. Und das sind nur die Zahlen zur Strafverfolgung. Wie viele weitere Abfragen es aus Gründen der Gefahrenabwehr gab, bleibt einstweilen offen.

Die Zahlen entstammen der Antwort auf eine große Anfrage, die die Piraten-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag der Regierung in Düsseldorf gestellt hatte. Die Antwort zeigt, mit welcher Selbstverständlichkeit die Maßnahme inzwischen eingesetzt wird.

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Dabei betrifft eine jede dieser Datenabfragen im Zweifel Hunderte oder gar Tausende unschuldige Menschen. Bei der Funkzellenabfrage erfährt die Polizei, welche Handynummern zu einem bestimmten Zeitraum an einem bestimmten Funkmast eingebucht waren ? wer sich also mit seinem Gerät an dem entsprechenden Ort befand. Die Beamten wollen so ermitteln, ob sich ein der Tat Verdächtiger am Tatort aufhielt, beziehungsweise wer zur Tatzeit dort war. Doch werden dabei auch immer die Daten aller unverdächtigen Handybesitzer registriert und gespeichert.

Manchmal reicht ein Fahrraddiebstahl

Kritiker betrachten das Verfahren daher als schweren Eingriff in die Privatsphäre. Vor allem weil Fälle bekannt wurden, in denen auf diese Art abgefischte Daten in ganz anderen Verfahren verwendet wurden, als Beifang sozusagen. Datenschützer kritisieren außerdem, dass die Daten hinterher oft nicht gelöscht werden, obwohl das vorgeschrieben ist. Trotz der großen Menge privater Daten ? immerhin erfährt die Polizei dadurch Handynummern, Namen und Adressen aller Geräte im Umkreis ? ist die Abfrage inzwischen ein Standardinstrument und wird von Richtern kaum oder gar nicht hinterfragt und geprüft. 

In Nordrhein-Westfalen waren es nach Auskunft der Landesregierung vor allem Bandendiebstahl, Raub und Erpressung, um die es ging. Doch erlaubt das Gesetz die Abfrage auch schon, wenn Fahrräder gestohlen wurden, wenn dahinter eine Bande vermutet wird.

Nicht beantwortet wurde von der Landesregierung die Frage, wie oft sich aus den Abfragen relevante Ermittlungsansätze oder sogar Verurteilungen ergeben haben. Dazu heißt es lediglich: „Die Anzahl neu gewonnener Ermittlungsansätze wird nicht erfasst.“ Solche Informationen, so argumentiert das federführende Innenministerium, sind eben in den gesetzlichen Berichtspflichten nicht enthalten. Das überrascht, immerhin hat die nordrhein-westfälische Polizei 2013 für Funkzellenabfragen insgesamt fast eine Million Euro ausgegeben. 

Gleiche Muster auch bei stillen SMS, WLAN- und IMSI-Catcher

Das Muster setzt sich fort. Auf die Frage, welchen Nutzen es für die Polizei hat, Ortungsimpulse per stiller SMS auszusenden, sogenannte WLAN- oder IMSI-Catcher einzusetzen, heißt es jedes Mal: Wir wissen es nicht. Dabei greifen alle drei Instrumente tief in die Rechte der Betroffenen ein. Doch bei all diesen Verfahren aber beruft sich das Innenministerium allein darauf, dass Straftäter schon seit Langem digitale Kommunikationsmittel benutzten. Deshalb müssten die Beamten auch über technische Ressourcen und Methoden verfügen, um erfolgreich Verbrechen bekämpfen zu können. Doch wie erfolgreich deren Einsatz ist, wird trotz des Risikos für viele Unbescholtene nicht einmal registriert.

Bei stillen SMS werden eben solche immer wieder an ein bestimmtes Handy geschickt, damit es sich im Funknetz einbucht und so seinen Standort verrät. Diese SMS sind für den Handybesitzer nicht sichtbar. Die Impulse werden in hoher Zahl versandt, bis sich das gesuchte Gerät meldet. Es können also sehr unterschiedlich viele Impulse nötig sein, bis ein Handy aufgespürt ist, je nachdem, wann das Gerät angeschaltet wird oder ob sich sein Besitzer im Ausland aufhält. Anschließend kann die Polizei ein Bewegungsprofil erstellen und sehen, wann sich jemand wo befand. 

Obwohl die Gesamtmenge der Impulse gezählt wird (rund 300.000 im vergangenen Jahr), kann man aus dieser Zahl also nicht schließen, um wie viele Fälle oder Personen es sich handelt, die auf diese Weise ermittelt werden sollten. Eine andere Zählung gibt es aber nicht. Wer es genau wissen will, müsste alle in Betracht kommende Ermittlungsakten von Hand durchblättern. „Eine retrograde Zuordnung aller versandten Ordnungsimpulse zu Verfahren oder betroffenen Personen ist daher nicht möglich“, schreibt das Innenministerium.

Gleiches gilt für IMSI-Catcher. Mit ihnen können Signale von Mobilfunkmasten überlagert werden. So gaukelt der Catcher Handys in seiner Umgebung vor, er sei die stärkste Funkzelle. Sie buchen sich bei ihm ein und das gesuchte Mobiltelefon kann geortet werden. Allerdings buchen sich eben auch die Telefone Unschuldiger ein und werden registriert. 154 Mal wurden IMSI-Catcher 2013 eingesetzt, sogar 200 mal im Jahr zuvor (und damit deutlich häufiger, als für eine vorangegangene kleine Anfrage gezählt wurde, die nur auf 30 Einsatze für 2012 kam). Doch auch hier bleibt offen, mit welchem Erfolg. „Die Erreichung des Zwecks für den Gebrauch des IMSI-Catchers wird nicht statistisch erfasst“, heißt es in der Regierungsantwort.

Lediglich bei dem einzigen WLAN-Catcher, den das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste betreibt, sind die Angaben etwas konkreter. WLAN-Catcher überwachen WLANs und spähen aus, welche Geräte sich dort einbuchen und Daten übertragen.  Zweimal wurde das Gerät eingesetzt. Einmal gegen mutmaßliche Täter, die eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet haben sollen. Zum Zweiten in einem Verdachtsfall, in dem es um die Verbreitung kinderpornografischer Schriften geht. Doch selbst hier bleibt die Frage offen, ob der Einsatz die Ermittler weitergebracht hat. Ermittlungsverfahren seien komplexe Prozesse. Es sei daher nicht möglich, Tataufklärungen monokausal auf eine einzelne Maßnahme zurückzuführen, heißt es lapidar.

Ein Sprecher des Innenministeriums verweist jedoch darauf, dass der Erfolg der verschiedenen Maßnahmen beispielhaft an Einzelfällen dargestellt sei: Ein flüchtiger Gewaltverbrecher; ein Vergewaltiger, der sich der Festnahme entzog; eine Bande osteuropäischer Autodiebe; ein Marihuana-Bauer; zwei Islamisten auf dem Weg zu einem Anschlag ? sie alle seien mittels Ortungsimpulsen gefunden worden. Zudem gehe es immer nur um Verkehrsdaten, Inhalte der Kommunikation würden nicht erfasst. Verkehrsdaten sind allerdings auch jene Informationen, die Geheimdienste wie die NSA oder der BND erfassen, um daraus ihre Schlüsse zu ziehen. Sie sind sogar aussagekräftiger als Inhalte.

Frank Herrmann, Landtagsabgeordneter der Piraten und Verfasser der großen Anfrage, verlangt deshalb, die Effizienz von Funkzellenabfragen, stillen SMS, WLAN- und IMSI-Catchern müsse wissenschaftlich evaluiert werden. „Es ist ähnlich wie bei der Vorratsdatenspeicherung. Die Polizeibehörden fordern sie, können aber nicht nachweisen, dass sie notwendig ist. Gute, grundrechtsbewusste Polizeiarbeit geht anders.“

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