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Twitter: Ich glaub, mein Bot zwitschert

Gepostet am Jun 8, 2014

Automatisierte Twitter-Accounts können nicht bloß Spam, sondern auch Kunst und Medienkritik. Mit @everyword nähert sich jetzt eines der bekanntesten Projekte seinem Ende.

Twitter: Ich glaub, mein Bot zwitschert

Eine Wortwolke auf Basis dieses Textes  |  © Wordle/ZEIT ONLINE

Wie alle Geschichten beginnt auch die des Twitter-Accounts @everyword mit einem Wort. „A.“ Es folgt noch eines. „Ahh.“ Und noch eines. „Aalii“. Seit dem 30. November 2007 twittert Everyword alle Wörter der englischen Sprache, jede halbe Stunde kommt ein weiteres dazu. Doch nicht mehr lange, denn nach mehr als 109.000 Tweets erreicht Everyword voraussichtlich an diesem Wochenende sein Ende. Was wird das letzte Wort sein? „Zyxz“ vielleicht? Oder doch „Zyzzyva“, der Name eines seltenen Rüsselkäfers?

Everyword ist ein Bot. Der Account wird nicht manuell gefüttert, sondern gibt über ein Computerprogramm eine Liste englischer Wörter aus. Die fand der Informatiker und Lyriker Adam Parrish vor einigen Jahren im Netz. Zur gleichen Zeit entdeckte er die damals noch junge Plattform Twitter ? und fand sie ziemlich albern. „Meiner Meinung nach haben die Menschen nur sinnlose, komplett kontextbefreite Dinge getwittert“, sagte Parrish dem Guardian. Everyword war seine Form der Satire. Er programmierte ein kleines Script, besorgte sich eine Liste der Wörter und ließ sie in die Timelines der Follower einlaufen. Fast sieben Jahre lang.

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Inzwischen denkt Adam Parrish anders über Twitter, und auch Everyword ist längst mehr als Satire. Parrish spricht von einem „magischen Schreibexperiment“, das nicht nur einfach Wörter in die Welt setzt, sondern für jeden Follower eine andere, persönliche Erfahrung bedeutet. „Everyword lässt die Leute über die Bedeutung einzelner Wörter nachdenken“, sagt Parrish. Dass die Wörter „Sex“, „Weed“ und „Vagina“ die meisten Retweets bekamen? Nun, so ist das Internet eben.

100.000 Menschen folgen Everyword mittlerweile. Die Faszination ergibt sich nicht aus der Wortsammlung, sondern aus dem Kontext. Nämlich genau dann, wenn die einzelnen Wörter in der persönlichen Twitter-Timeline der Follower eine unerwartete Bedeutung erhalten. Ein Beispiel liefert Parrish: Während der jüngsten Apple-Konferenz erschien bei Everyword das Wort „Zealot“ ? ein Begriff, der in der Technikbranche für Verehrer einzelner Produkte steht. Inmitten der Tweets über Apple erschien das Wort besonders passend, um nicht zu sagen prophetisch.

Juxtaposition, das Nebeneinanderstellen zweier, nicht selten unterschiedlicher Elemente, heißt diese Technik in der Literaturwissenschaft. Auf Twitter hat Everyword diese Form automatisierter Lyrik zwar nicht alleine begründet, als einer der ältesten und beständigsten Bots aber ist er Teil einer aufstrebenden Szene, in der Programmierer und Künstler aufeinandertreffen.

Bots zwischen Kunst und Medienkritik

„Viele Bots sind von Everyword inspiriert“, sagte der Informatiker Darius Kazemi der Washington Post. Heute sind sie auf Twitter allgegenwärtig. Möglich macht das die offene Programmierschnittstelle (API), über die externe Anwendungen auf einen Account zugreifen können. Viele Bots retweeten einfach nur bestimmte Schlüsselwörter, andere weisen die Nutzer gezielt auf Rechtschreibfehler hin, einige erzählen Filme wie Star Wars oder die kompletten Werke Shakespeares nach, und manche sind die Weiterführung eines Memes. Und natürlich gibt es nicht wenige, die einzig dazu dienen, Spam zu verteilen.

Seit einigen Jahren experimentiert Kazemi mit Algorithmen und Twitter für seine Projekte. Vergangenes Jahr organisierte er erstmals ein Botmaker-Treffen, wie die Programmierer sich nennen. Kazemi erinnern die Versuche an die Anfangszeit des Creative Computings, in der Programme wie ELIZA erstmals die menschliche Sprache simulierten. Bei den heutigen Bots geht es ebenfalls darum, Kommunikation zu simulieren, bisweilen auch zu persiflieren. Kazemis Account Professor Jocular etwa nimmt Tweets und stellt ihnen Anmerkungen voran, dass es sich dabei um einen Witz handelt ? auch wenn die Originale völlig ernst gemeint sind.

Two Headlines, ein weiteres Projekt Kazemis, scannt die aktuellen Nachrichtenüberschriften in Google News und kombiniert sie zufällig, aber mit teilweise erstaunlichen Ergebnissen. Etwa wenn die von Männern dominierte Technologiefirma Intel plötzlich gegen den Feminismus wettert. Ähnlich funktioniert der Account von KimKierkegaardashian, in dem die mondänen Tweets von B-Celebrity Kim Kardashian mit den philosophischen Schriften Kierkegaards kombiniert werden.

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