Beeindruckende Begegnungen mit Walen und Drachen: Die Virtual-Reality-Brille Vive von HTC und Valve hat den Konkurrenzprodukten von Oculus und Sony etwas voraus.
Der Anfang erinnert an den Film Matrix. Man steht auf einer weißen Fläche, die sich scheinbar in alle Richtungen unendlich ausdehnt. Läuft man ein paar Meter, erscheint ein leuchtendes Gitternetz. Die Botschaft ist klar: Hier geht es nicht weiter. Doch plötzlich verändert sich die Umgebung: Jetzt steht man in einer windschiefen Hütte, die von Kerzen notdürftig beleuchtet wird. Auf Holztischen und Regalen liegen Amulette, Papyrusrollen und allerlei seltsame Geräte. Ein fettleibiger Händler bittet, man möge sich doch in Ruhe die Waren anschauen, dann verschwindet er nach draußen. Die Hütte selbst, die Gegenstände, all das wirkt erstaunlich real und greifbar.
Secret Shop ist eine Demo-Anwendung für die Virtual-Reality-Brille HTC Vive. Bei der Computerspielmesse Gamescom in Köln zeigt HTC das Headset erstmals der europäischen Öffentlichkeit. Im Projekt Vive kooperiert der Elektronikhersteller mit der Spielefirma Valve, bekannt vor allem durch die Download-Plattform Steam. Das Vive-System auf der Gamescom ist ein Prototyp, kommt aber dem finalen Modell angeblich schon sehr nahe. Noch 2015 will HTC die Brille auf den Markt bringen. Und bietet mit Vive ein Immersionserlebnis, das man von den Konkurrenzprodukten so noch nicht kannte.
Die Hauptkonkurrenten von Vive heißen Oculus Rift und Project Morpheus. Auch sie sind auf der Gamescom kaum zu übersehen, sollen allerdings erst 2016 auf den Markt kommen. Alle drei Brillen funktionieren grundsätzlich nach demselben Prinzip: Sie erzeugen vor den Augen des Trägers zwei parallele Bilder, die vom menschlichen Gehirn zu einem dreidimensionalen Raum zusammengesetzt werden. Daneben gibt es jedoch beträchtliche technische und wirtschaftliche Unterschiede, die das VR-Rennen entscheidend beeinflussen können.
Mit ihrer Kickstarter-Kampagne hat die Firma Oculus VR den aktuellen Trend überhaupt erst ausgelöst. Mittlerweile gehört das kalifornische Start-up zu Facebook und hat eine Armee von Studios im Rücken, die seit Jahren an PC-Spielen für Oculus arbeiten. Project Morpheus wird von Sony für die PlayStation 4 entwickelt, die mit mehr als 22 Millionen verkauften Exemplaren die aktuelle Konsolengeneration anführt. HTC Vive benötigt wie Oculus Rift einen leistungsstarken PC als Basis und läuft mit Windows. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist die Bewegungsfreiheit der Spieler.
Oculus Rift und Project Morpheus messen die Spielerbewegungen folgendermaßen: Am Brillenrahmen befinden sich Leuchtmodule, deren Position von externen Kameras aufgezeichnet wird. Aus diesen Daten wiederum berechnen PC beziehungsweise Konsole die Position und Neigung des Kopfes: Blickt der Spieler sich um, tut er das auch im Spiel. Als zusätzliche Schnittstelle kommen Controller zum Einsatz, die der Spieler allerdings „blind“ bedienen muss. Dank dieser Steuermöglichkeiten können Spieler zwar im virtuellen Raum umherlaufen. Im physischen Raum bewegen sie sich jedoch nicht vom Fleck, sondern drehen sich höchstens um die eigene Achse.
HTC Vive hebt diese Beschränkung teilweise auf. Denn anstatt einer Infrarot-Kamera kommen gleich zwei Laser zum Einsatz, die an entgegengesetzten Punkten des Zimmers in Deckenhöhe fixiert werden. Anhand dieser Laser registriert das Headset jede Bewegung und jeden Gegenstand auf einer Grundfläche von maximal 4,5 mal 4,5 Metern. In diesem Bereich kann der Spieler ? wenn auch durch ein Kabel mit dem PC verbunden ? frei umherlaufen. Damit er dabei nicht gegen die echten Zimmerwände prallt, blendet Vive im Spiel bei Bedarf das leuchtende Gitternetz ein. Außerdem speichert das System Maße und Beschaffenheit des Raumes, sodass der nicht vor jedem Spiel neu vermessen werden muss.
Auch Körperbewegungen werden umgesetzt
Trotz der Beschränkung auf wenige Quadratmeter stärkt Vive den Immersionseffekt enorm: Man hat das Gefühl, deutlich mehr Handlungsfreiheit zu besitzen und die virtuelle Umgebung besser erkunden zu können, zumal auch Körperbewegungen wie Hocken oder Bücken im Spiel umgesetzt werden. Dazu kommt eine mit 2K sehr hohe Auflösung, eine recht hohe Bildwiederholrate (90 Hertz) und eine kaum spürbare Latenz. All das reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass dem Träger beim Spielen schlecht wird ? eines der größten Probleme von VR, mit dem die Hard- und Software-Hersteller auch nach Jahren der Entwicklung noch zu kämpfen haben.
Auf der Gamescom präsentiert HTC seine Brille mit insgesamt fünf Demo-Anwendungen. Der beste Beweis für das Potenzial von VR ist der Secret Shop, in dem Spieler die Hütte eines Händlers aus dem Spiel DotA erkunden. Auch bei Vive kommen als zusätzliche Schnittstelle zwei Controller zum Einsatz, die den Spielen zudem die dringend benötigt Haptik verleihen. Die stabförmigen Controller haben in der Mitte ein kreisförmiges Touchpad, das man mit dem Daumen bedient.