Jewgeni Kaspersky verkauft Software, die vor Computerviren schützen soll. Manche halten ihn selbst für gefährlich.
Der Mann, der die Welt retten will, steht in einem kleinen Raum am Münchner Flughafen und stopft sich ein Stück Streuselkuchen in den Mund. Er kaut, schmatzt und wischt sich hastig über die Lippen. „Hi, ich bin Eugene“, sagt er mit ausgestreckter Hand und vollem Mund. Auf sein Jeanshemd rieselt Puderzucker. Sein Händedruck ist so fest, dass es schmerzt.
Eugene heißt eigentlich Jewgeni, Jewgeni Walentinowitsch Kaspersky, geboren 1965 in Noworossijsk am Schwarzen Meer. In den achtziger Jahren studierte er in Moskau Mathematik, später wurde er Programmierer im sowjetischen Verteidigungsministerium. Heute ist er Chef von Kaspersky Lab, einem der größten Hersteller von Anti-Viren-Software. Als die Sowjetunion zusammenbrach und er nach Investoren für seine Firma suchte, streifte Kaspersky seinen russischen Namen ab. „Jew-ge-ni“, sagt er und zieht die Silben auseinander, „das konnte im Westen keiner aussprechen.“ Also benutzte er die englische Form von Jewgeni: Eugene.
Kaspersky ist heute Millionär, sieht aber aus wie ein Trucker. Seine Jeans sind bleich und ausgebeult, die Ärmel hochgekrempelt, die Wangen seit Tagen nicht rasiert. Brusthaar quillt aus dem aufgeknöpften Hemd. Als er noch zur Schule ging, gewann Kaspersky Mathewettbewerbe, als Student las er Aufsätze über Computerviren. 1989 ? Kaspersky arbeitete damals im sowjetischen Verteidigungsministerium ? begegnete er zum ersten Mal einer infizierten Datei. „Herbstlaub“ hieß das Virus, es ließ die Buchstaben vom oberen Rand des Bildschirms herunterfallen, wie die welken Blätter eines Baumes. Kaspersky kopierte die Datei auf eine Diskette und versuchte sie zu entschlüsseln. Er wollte das Virus nicht loswerden, er wollte verstehen, wie es funktioniert.
- Schurken im Netz: Betrüger
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Computer- und Internetkriminalität verursacht weltweit einen Schaden von 400 Milliarden Dollar im Jahr ? das schätzt der US-amerikanische Thinktank CSIS in einem Bericht vom Juni 2014 . Weit verbreitet sind Viren und andere Schadprogramme, die in E-Mail-Anhängen stecken und auf infizierten Rechnern Kontodaten ausspionieren. Schützen kann man sich davor mit Anti-Viren-Software.
- Spione
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Nicht nur Privatpersonen, auch Unternehmen werden angegriffen. Über das Internet oder infizierte USB-Sticks werden Firmenrechner gehackt und nach Passwörtern, Konstruktionsskizzen oder Finanzplänen durchforstet ? oft völlig unbemerkt.
- Saboteure
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Die bekannteste Cyber-Waffe ist der Computerwurm Stuxnet, der 2010 Zentrifugen des iranischen Atomprogramms lahmlegte. Als Urheber gelten die USA und Israel, entdeckt wurde der Wurm von Kasperskys Forschern. Sie waren von der »chirurgischen Präzision« des Angriffs beeindruckt und warnten vor Terroristen, die ähnliche Waffen nutzen könnten.
„Damals waren Viren wie Graffiti“, sagt Kaspersky. Ärgerlich für den, an dessen Wand gesprüht wird, aber nicht weiter gefährlich für die Menschheit. Heute, 25 Jahre später, sind Viren Waffen. „Die ganze Welt wird von Computern gesteuert“, sagt Kaspersky. Er zeigt nach draußen, auf die Glasfassade des Münchner Flughafens, wo sich die Menschen vor den Rolltreppen drängeln. 38 Millionen Passagiere landen und starten hier im Jahr. Sie halten ihre Bordkarten an elektronische Lesegeräte, wuchten ihr Gepäck auf computergesteuerte Förderbänder, steigen in Flugzeuge, die von Rechnern durch den Himmel geleitet werden. „Was digital ist, ist verwundbar“, sagt Kaspersky. „Die Angriffe werden heftiger. Wenn wir nicht aufpassen, läuft das aus dem Ruder.“
Kaspersky muss das sagen, er lebt von der Angst seiner Kunden. Würden sie sich sicher fühlen, könnte er seine Software nicht verkaufen. Trotzdem ist seine Sorge mehr als Panikmache. Allein in Deutschland wurden 2013 Computerdaten von rund 16 Millionen Menschen gestohlen: Passwörter, E-Mail-Adressen, Kreditkartennummern. Unternehmen und sogar ganze Staaten wurden sabotiert. Polizeibehörden sprechen von „organisierter Cyberkriminalität“.
Neben den Kapuzenpulliträgern der Westküste wirkt er wie ein Sonderling
2010 entschlüsselten Kryptologen aus Kasperskys Forscherteam den Computerwurm Stuxnet. Unbekannte hatten damit die Rechner iranischer Urananreicherungsanlagen ausspioniert und das Atomprogramm des Landes lahmgelegt. 2012 löschten Cyberkriminelle die Daten von mehr als 30.000 Rechnern des Unternehmens Saudi-Aramco, des größten Erdölkonzerns der Welt. 2013 schlichen sich südamerikanische Drogenbanden ins Computersystem des Überseehafens von Antwerpen und schleusten Container voller Koks am Zoll vorbei.
Die Auftraggeber der Hacker sind Mafiagruppen, global organisierte Trickbetrüger, aber auch Regierungen. „Geheimdienste agieren digital, die brauchen keine klassischen Spione mehr“, sagt Kaspersky. „James Bond ist tot.“
Für Computernutzer sind die Attacken aus dem Netz eine wachsende Gefahr. Für Kaspersky sind sie ein wachsendes Geschäft. 300 Millionen Menschen haben Kasperskys Anti-Viren-Software auf ihren Rechnern installiert. Die Atomenergiebehörde der Vereinten Nationen gehört zu seinen Kunden, das italienische Verteidigungsministerium, die Deutsche Flugsicherung. Der Umsatz von Kaspersky Lab ist seit der Gründung des Unternehmens im Jahr 1997 auf mehr als 660 Millionen Dollar gestiegen. Innerhalb weniger Jahre wurde aus dem Computernerd Jewgeni der Multimillionär Eugene. Das US-Magazin Forbes schätzte sein Vermögen auf 800 Millionen Dollar. Fragt man ihn, warum er Software-Unternehmer geworden sei, sagt er: „Ich will die Welt retten.“ Er klingt, als meine er das ernst.
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